Ausland28. Oktober 2023

Große Ziele und diplomatische Herausforderungen

Das dritte »Belt and Road Forum« tagte in Peking

von Klaus Wagener

Mehr als 10.000 Vertreter von 151 Ländern und 41 internationalen Organisationen sind am 17. und 18. Oktober beim inzwischen dritten »Belt and Road Forum« in Peking zusammengekommen, um über den weiteren Fortgang des gigantischen Projektes zu beraten, das vor ziemlich genau zehn Jahren in der Hauptstadt Kasachstans startete. Bis auf den unerschütterlichen ungarischen Premierminister Viktor Orbán blieb die westliche »Führungselite« dem Großereignis in der chinesischen Hauptstadt geschlossen fern. Der Graben zwischen den eurasischen Hauptstaaten und dem USA-geführten, »regelbasierten« Westen hat sich in den letzten Jahren erheblich vertieft.

In den zehn Jahren, in denen die »Neue Seidenstraße«, die »Belt and Road Initiative« (BRI) nun existiert, hat die Welt eine gewaltige geostrategische Veränderung erlebt. Ohne zu übertreiben kann man sagen, daß die jahrhundertealte uneingeschränkte Vormachtstellung des angloamerikanischen Machtkomplexes zerbrochen ist. Zwar ist der US-amerikanische Machtapparat und dessen Einfluß in der Welt weiterhin stark, aber nicht zuletzt aufgrund der wenig entwickelten Fähigkeit der führenden Neokonservativen der USA, die neuen Realitäten zu akzeptieren und bei ihrer Politikentwicklung zu berücksichtigen, in erstaunlich hohem Tempo im Schwinden begriffen.

Der mörderische Stellvertreterkrieg in Ukraine, die bedingungslose Unterstützung der brutalen Expansions- und Vertreibungspolitik Israels seit 1967 dürften entscheidende Beschleuniger des Ansehensverlustes Washingtons und seiner europäischen Verbündeten gewesen sein. Das große, weltweite Interesse an einer BRICS-Mitgliedschaft ist ein weiterer Indikator für den massiven Stimmungsumschwung in den Ländern des Globalen Südens. Die Zukunft wird nicht mehr im ehemals so dominanten, nun aber mit massiven politischen und ökonomischen Problemen kämpfenden Westen verortet, sondern bei den prosperierenden Staaten der Eurasischen Kooperation.

Chinas Außenminister Wang Yi hat die Vision der Pekinger Führung auf die Perspektiven von BRI bei dem Forum in vier Punkten dargestellt. Zunächst gehe es um »multidimensionale Konnektivität«, die Errichtung eines »eurasischen Netzwerkes«, welches auf einem China-Europa-Schnellzugnetzwerk beruhe, wozu ein Netz von Schnellstraßen, Land-und-See-Routen und eine »Air-Silk-Road« treten soll.

Zum zweiten solle die neue BRI-Etappe ökologisch werden, eine »Green-Silk Road«. Es gehe um die Schaffung einer internationalen Koalition für grüne Entwicklung. »Grüne Infrastruktur, grüne Energie, grüne Finanzierung, grüner Transport« sollen gewissermaßen der Markenkern von BRI werden.

Wang Yis dritter Punkt ist die Digitalisierung von BRI. Es gehe um die Stärkung eines »offenen, fairen, nicht-diskriminierenden Umfeldes für die Entwicklung einer digitalen Ökonomie«, um »die Integration der digitalen Technologie mit der Realökonomie«. China unterstütze eine »globale Initiative für AI-Governance« – auf künstliche Intelligenz gestützte Staatsführung.

Abschließend gehe es um die gemeinsame Modernisierung des Globus, die »Integration der chinesischen Ökonomie in die globale Ökonomie«, um die Schaffung einer offenen integrierten »Weltökonomie«. China strebe die Implementierung der von Präsident XI Jinping vorgestellten »Drei Initiativen« an: Der globalen Entwicklungsinitiative, der globalen Sicherheitsinitiative und der globalen Zivilisierungsinitiative.

Die chinesische Führung um Xi Jinping, so viel wird deutlich, hat sich ehrgeizige, weitreichende und sicher nicht unumstrittene Ziele gesteckt. BRI wird in den Augen Pekings zu einer Art Menschheitsprojekt.

Die auf dem »Belt and Road Forum« deutlich gewordene »Spaltung« der Welt und die »Kontinentaldrift« hin zu den eurasischen Staaten hat massiven Einfluß auf die Krise im Nahen Osten. Das »Belt and Road Forum« in Peking ist auch zum diplomatischen Zentrum für eine Einhegung und Beendigung der mörderischen israelischen Kriegführung geworden.

Die Lage der in Gaza, im größten Freiluftgefängnis der Welt, eingepferchten, wehrlosen und brutal bombardierten palästinensischen Menschen verschlechtert sich von Minute zu Minute. Chinas Staatschef Xi Jinping hatte im Juni 2023 Präsident Mahmud Abbas empfangen und eine »Strategische Partnerschaft« erklärt.

Auch Rußlands Präsident Wladimir Putin ist nahezu pausenlos in dieser Sache im Einsatz. Die russische Seite verfügt über gute Kontakte nach Tel Aviv, Peking über ausgezeichnete zu den arabischen Staaten. Auch wenn der russische Kontakt in den letzten Jahren wegen der israelischen Angriffe auf Syrien und Tel Avivs Munitionslieferungen an Kiew erheblich gelitten hat, versucht der russische Präsident dennoch alles, um Benjamin Netanjahu und seine Mannschaft von seinem ebenso unbedachten wie verbrecherischen Vorgehen abzubringen.

China und auch Rußland haben beim dem Treffen in Peking eine internationale Friedenskonferenz mit dem Ziel einer Zweistaatenlösung, also der Gründung eines Staates Palästina, auch als Lösung für den gegenwärtigen Konflikt erneut wiederbelebt. Aber wenn es tatsächlich einen lebensfähigen Palästinenserstaat geben soll, bedeutete das nach Lage der Dinge: Anerkennung der UNO-Resolution 242 von 1967 und den Rückzug Israels aus den seither besetzten oder von den Siedlern okkupierten Gebieten, Bewegungsfreiheit und Anerkennung der staatlichen Integrität und Souveränität eines Palästinenserstaates.

Das war in den letzten 60 Jahren, in denen das israelische Projekt stets die volle Unterstützung der USA besaß, ein unvorstellbares Unterfangen. Sollte es tatsächlich Bewegung in diese Richtung geben, wäre auch das ein starker Indikator, wie sehr sich die Welt im letzten, im »BRI-Jahrzehnt«, verändert hat.