Ausland02. Juli 2021

Krieg gegen Kranke

Bewaffnete Regierungsgegner und westliche Sanktionen zerstören das Gesundheitswesen Syriens. Ein Bericht aus Aleppo

von Karin Leukefeld, Aleppo

»Na, Sie humpeln ja kräftig.« Dr. Emile Katti, der leitende Arzt und Chirurg des Krankenhauses Al Rajaa in Aleppo begrüßt Joseph B. im Eingangsbereich mit einem kräftigen Handschlag. »Lange nicht gesehen und da kommen Sie mit so einem Knie hier an?«

Joseph begleitet die Autorin seit Jahren durch das kriegszerstörte Syrien. An diesem Morgen hatte er sich vor der Abfahrt aus Damaskus in der Eile beim Verstauen des schweren Benzinkanisters verletzt, der wegen der großen Benzinknappheit bei langen Fahrten zur Grundausstattung gehört. Nur auf Drängen hatte Joseph eine Untersuchung bei Dr. Emile Katti in Aleppo akzeptiert.

Dr. Katti leitet das Krankenhaus im Südwesten von Aleppo seit mehreren Jahren. Hier hatte die Autorin ihn im August 2016 zum ersten Mal getroffen, um über die schwierige Arbeit von Ärzten und Krankenpflegern während des Krieges zu berichten. Das Al Rajaa-Krankenhaus war von dem kirchlichen Hilfswerk Misereor unterstützt worden und liegt fast unmittelbar an der ehemaligen Frontlinie nach Idlib.

Damals versuchten die bewaffneten oppositionellen Gruppen aus Idlib nach Aleppo einzudringen und griffen mit tonnenschweren Bomben, Raketen und Mörsergranaten an. Etliche der Splitter landeten auf dem Dach oder in den Fenstern des Al Rajaa-Krankenhauses, das nie seine Arbeit einstellte.

Nach der Befreiung von Ost-Aleppo durch die syrische Armee und deren Verbündete Ende 2016 stellte Misereor die Unterstützung für das Krankenhaus überraschend ein – ein schwerer Schlag für die Klinik der Lateinischen Kirche in Aleppo und den Franziskanerorden.

Nach der Röntgenuntersuchung stellt Dr. Katti fest, daß die Bänder am Knie des Patienten überdehnt sind. Er legt Salbe auf, wickelt eine feste Bandage um das Knie und verschreibt Tabletten. In einer Woche solle er sich entweder bei ihm oder einem Facharzt in Damaskus vorstellen, ordnet er an.

Dann lädt er zu einem kalten Getränk in seinem Büro ein und berichtet über die schwierige Lage der kleinen Kliniken. Hilfsprogramme zur Unterstützung von Kranken wie das von Misereor, seien eingestellt worden, der Vatikan unterstütze mit dem Programm »Offene Krankenhäuser« finanziell lediglich drei ausgewählte christliche Hospitäler in Aleppo und Damaskus. Medizinische Einrichtungen in anderen Teilen des Landes gingen leer aus.

»Heute Morgen haben wir zwei Patienten behandelt, die auf dem Feld gearbeitet haben und von Landminen verletzt wurden«, sagt Dr. Emile. »Einem Mann mußten wir das Bein amputieren, dem anderen eine Hand. Sie sind arme Leute und können die Behandlung nicht bezahlen. Wir arbeiten inzwischen oft gratis, aber ich weiß nicht, wie lange wir das noch durchhalten können.«

Nach Auskunft des syrischen Gesundheitsministeriums hat das Land 52 von 98 staatlichen Krankenhäusern verloren. Etliche Kliniken liegen in Gebieten, die nicht von der syrischen Regierung kontrolliert und versorgt werden können. Viele Kliniken wurden während des Krieges zerstört. Die Rehabilitation des Gesundheitssektors wird durch die Sanktionen von EU und USA (»Caesar-Gesetz«) behindert. Angeblich sollen medizinische Güter davon ausgenommen sein, doch die Realität sieht anders aus.

»Kein ausländisches Unternehmen kann mit der syrischen Zentralbank kooperieren, die unter Sanktionen steht«, erläuterte Dr. Ahmad Khleifawi, der stellvertretende Gesundheitsminister, im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. Transportunternehmen wollten nicht nach Syrien liefern, aus Angst, sie würden dafür bestraft. Die syrische Pharmaindustrie habe Probleme, Rohstoffe zu kaufen. Befreundete Länder hätten Hilfe angeboten, sagt Khleifawi ohne Namen zu nennen. Er werde bald »nach Osten« reisen, um Abkommen zu unterschreiben.

Zu den zahlreichen zerstörten syrischen medizinischen Einrichtungen gehört auch das Krankenhaus Al Kindi im Norden von Aleppo. Die große Klinik mit 700 Betten war auf Krebserkrankungen spezialisiert. Patienten kamen aus dem ganzen Mittleren Osten, um hier behandelt zu werden.

2012 wurde die Klinik von dschihadistischen Gruppen belagert, Personal und Patienten konnte man rechtzeitig evakuieren. Eine Einheit der syrischen Armee versuchte das Krankenhaus zu halten und gegen die Dschihadisten zu verteidigen. Im Dezember 2013 lenkte ein Selbstmordattentäter einen Lastwagen mit 40 Tonnen Sprengstoff in das Gebäude und brachte das Fahrzeug im Notfalleingang zur Explosion. Die Hälfte des Krankenhauses brach in einer riesigen Staubwolke zusammen. Ein zweites Fahrzeug folgte und sprengte mit weiteren 40 Tonnen Sprengstoff die andere Hälfte des Krankenhauses in die Luft.

Der Trümmerberg liegt auf einem Hügel. Kräftig rot wächst der Oleander aus der Ruine. In einem noch zugänglichen Raum liegen alte Röntgenaufnahmen auf dem Boden zerstreut. Für westliche Medien war der brutale Angriff kaum eine Zeile wert. Videoaufnahmen, in denen die fanatischen Täter – die in den westlichen Medien weiterhin als »Rebellen« bezeichnet werden – ihr Zerstörungswerk mit »Allah ist groß«-Rufen begleiten, sind bis heute bei YouTube zu sehen.