Leitartikel21. Juli 2022

Mit Bodycams gegen »Solidarisierungseffekte«

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Die regierende Dreierkoalition macht Ernst: Was im Koalitionsabkommen noch ein zaghaftes Modelprojekt, angeblich zur Eindämmung der »drogenbezogenen Kriminalität« an den wenigen dafür bekannten Orten im Land war, wurde zur Ausrüstung ausnahmslos aller uniformierten Polizistinnen und Polizisten mit sogenannten Bodycams aufgeblasen.

Dabei beruft sich der federführende Minister für Innere Sicherheit auch auf die teilweise gewaltsamen Proteste der Gegner der Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie. Außerdem behauptet Henri Kox, die kleinen, in Brusthöhe an der Uniform befestigten Digitalkameras würden »präventiv wirken« oder zumindest »für Deeskalation sorgen«.

Der als technische »Nachrüstung« verkaufte Angriff auf die Demonstrationsfreiheit und die Privatsphäre wird in erster Linie mit dem Schutz von Polizisten gerechtfertigt. Weil, so die Begründung, »Aggressivität und Gewaltbereitschaft gegenüber der Polizei« zugenommen hätten und es zuletzt immer wieder zu »Solidarisierungseffekten Dritter« gekommen sei, die auch noch »tendenziös geschnittene Videos« von Polizeigewalt ins Internet gestellt hätten, sei dringend »Waffengleichheit« herzustellen.

Es geht also nicht um mehr »Transparenz«, eine größere »Verantwortlichkeit« bei Polizeieinsätzen und mithin den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Polizeigewalt, sondern um nichts anderes als die Rückgewinnung polizeilicher Deutungshoheit.

In den USA, wo mittlerweile die meisten Bodycams im Einsatz sind, sprechen Law-and-Order-Politiker sogar von einem angeblichen »War on Cops«. Auch dort wird gegen jede empirische Evidenz behauptet, die Gewalt gegen Polizisten nehme beständig zu. Auch wird erklärt, Videoaufnahmen unbeteiligter Dritter von Polizeieinsätzen seien »gegen die innere Sicherheit« gerichtet.

Als am 9. August 2014 der 18-jährige unbewaffnete Afroamerikaner Michael Brown in Ferguson, Missouri vom Polizisten Darren Wilson erschossen wurde, beklagte der damalige FBI-Direktor James B. Comey einen »Ferguson-Effekt«. Diesem, so Comey, müsse man unter anderem mit dem Einsatz von Bodycams begegnen, damit sich Polizisten im »Zeitalter viraler Videos« weiter trauten, »ihre Arbeit zu machen«.

Anders als von Amnesty International gefordert, soll der jeweilige großherzogliche Polizist auch bei der Anwendung »unmittelbaren Zwangs« entscheiden können, ob er seine Bodycam aufzeichnen läßt. Zu was das führen kann, zeigte sich erst am 2. Mai in Mannheim, einer 300.000-Einwohner-Stadt im Südwesten Deutschlands, als ein psychisch kranker Mann seine Festnahme nicht überlebt hat.

Auf Filmaufnahmen Dritter, die offenbar auch einem »Solidarisierungseffekt« erlegen waren, ist zu sehen, was auch von Zeugen bestätigt wurde: Der kurz zuvor aus einer psychiatrischen Einrichtung verschwundene Mann wurde von Polizisten durch die Straße gehetzt, mit Pfefferspray traktiert und schließlich – bereits am Boden liegend und »fixiert« – mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Daraufhin kollabierte er und verstarb in einer Klinik. Die Bodycams der beiden Polizisten waren während des gesamten Einsatzes ausgeschaltet.

Und so zeigt sich: Wer mit allen Mitteln »Sicherheit« gewährleisten will, stellt letztlich alles zur Disposition, was der bürgerliche Rechtsstaat an Regeln zur Vorbeugung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten eingeführt hat. Wer hier den großen Kehraus macht, kehrt, angeblich zur »Verteidigung des Rechtsstaats«, all das weg, weswegen dieser bürgerliche Rechtsstaat verteidigt werden muß. Die von der Dreierkoalition bei jeder Gelegenheit ins Fenster gestellte »Freiheit« stirbt dann an ihrer Verteidigung.