Keine »Schonzeit« für den Präsidenten
»Topfschlagen« quer durch Frankreich. Emmanuel Macron übt sich in »Selbstkritik« und räumt »Fehler« ein
Welche Region Frankreichs Emmanuel Macron in diesen Tagen auch besucht, überall wird er mit dem Lärm geschlagener Töpfe oder Pfannen und mit Sprechchören empfangen. Auf den Tag ein Jahr nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten ist die Zustimmung für ihn und seine Politik in Umfragen auf einem neuen Tiefstpunkt angekommen.
Vor allem daß er die »Rentenreform« ungeachtet der Proteste einer geeinten Gewerkschaftsfront und der Millionen Demonstranten, die bei einem Dutzend Streik- und Aktionstagen auf die Straße gegangen sind oder gestreikt haben, wird ihm schwer angekreidet. Kommentatoren fragen sich, was der Präsident bei einer solch tiefen Krise zwischen ihm und dem Volk in den restlichen vier Jahren seiner Amtszeit noch Positives zustande bringen will.
In einer Fernsehansprache, mit der er vor einer Woche seine »Rentenreform« erneut zu rechtfertigen versuchte, bat Macron zugleich um eine Art »Schonzeit« von 100 Tagen, um »das Land wieder zu befrieden und die nationale Einheit wiederherzustellen«. Es ist zu bezweifeln, daß ihm das gelingt. Nun kehrt Macron wieder zu seiner Taktik zurück, die ihn schon 2018/19 die massiven Proteste der »Gelben Westen« überstehen ließ und reist durchs Land, um »den Puls des Volkes zu fühlen« und in Diskussionen für seine Vorhaben zu werben.
Er sucht den unmittelbaren Kontakt mit den Leuten vor Ort, besucht in den verschiedenen Landesteilen Dörfer und Städte oder Betriebe, aber auch Schulen und Universitäten, wo die Kritik besonders virulent ist. Zum Schrecken seiner Leibwächter scheut er dabei nicht das – oft improvisierte – »Bad in der Menge«, auch wenn er dabei viel Kritik und Topflärm zu hören bekommt. Auf jeden Fall will er den Eindruck vermeiden, er habe sich angesichts des starken Gegenwindes im Elysée verschanzt, um die Welle des Unmuts über sich hinwegrollen zu lassen und zu warten, bis sie versandet ist.
Als abschreckendes Beispiel steht ihm wohl sein Amtsvorgänger Giscard d‘Estaing vor Augen, der zwischen 1974 und 1981 Präsident war und der das noch durch das patriarchalische Gespann Charles de Gaulle-Georges Pompidou geprägte Frankreich mit einem Wind von »Reformen« aufgescheucht hat. Von denen konnte er allerdings nur einen kleinen Teil verwirklichen. Dazu gehörte aber immerhin die Zulassung des Schwangerschaftsabbruchs, was ihm letztlich noch einen ehrenden Platz in den Geschichtsbüchern sicherte. Daß Giscard kaum mehr hinterlassen hat, lag vor allem daran, daß er isoliert und selbstherrlich im Elysée regierte und es nicht verstand, den Kontakt zu Gewerkschaften als wichtigstes Bindeglied zwischen der Regierung und der Masse der Franzosen für seine Maßnahmen zu suchen.
Auch Macron neigt zur Selbstüberschätzung. Er entscheidet nach der eigenen Überzeugung und nur zu oft ohne Konsultationen. Daß er bei der »Rentenreform« die Gewerkschaften und ihre Meinung nicht ernst genommen und nicht einbezogen hat, war der Ausgangspunkt für die tiefgreifende soziale Krise, die ihn wohl noch bis ans Ende seiner Amtszeit verfolgen wird. Dabei standen ihm mit der größten Gewerkschaft CFDT und deren Generalsekretär Laurent Berger sogar potentielle Partner gegenüber, die – im Unterschied zur CGT – für »Reformen« zunächst durchaus aufgeschlossen waren. Hätte er auf sie wie auch auf Rentenrechtsexperten gehört und eine Neuregelung der Rentenberechnung nach Beitragsjahren und nach einem gerechten und alle Wechselfälle des Lebens berücksichtigenden Punktesystem vorgeschlagen und mit den Gewerkschaften abgestimmt, so hätte er sich und Frankreich viel Unruhe und Ärger erspart.
Diese Erkenntnis muß ihn wohl auch bewogen haben, dieser Tage in einem Interview »selbstkritisch« einzuräumen, daß er in der jüngsten Vergangenheit sicher »Fehler gemacht« habe. So bleibt ihm jetzt nur der Canossagang zu den Franzosen vor Ort, um sie wieder für sich zu gewinnen.
Damit es dabei nicht zu laut zugeht, haben einige Präfekten der besuchten Departements per Dekret verfügt, daß während der Präsidentenvisite »tragbare Lärminstrumente« verboten sind und durch die Polizei beschlagnahmt werden können. Macron selbst konnte seiner üblichen Bonmot-Versuchung nicht widerstehen und hat erklärt, daß »Töpfe Frankreich nicht voranbringen werden«. Das hat ein Unternehmen gekontert, indem es auf Werbeseiten in der Presse versichert: »Unsere Töpfe bringen Frankreich voran!«