Ausland11. Mai 2023

Annäherung versus Eskalation

Syrien kehrt in die Arabische Liga zurück. Arabische Staaten setzten Politik der regionalen Annäherung fort. Kritik im Westen, Eskalation durch Israel

von Karin Leukefeld, Beirut

Syrien wird in die Arabische Liga zurückkehren. Das beschlossen die Außenminister der 22 Mitgliedstaaten des arabischen Bündnisses am Sonntag in Kairo. Es handelt sich um eine Vorabentscheidung, die beim Gipfeltreffen am 19. Mai in der arabischen Hauptstadt Riad von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten bestätigt wird. Der Präsident der Arabischen Liga, Ahmed Aboul Gheit erklärte, der Rückkehr Syriens in das Bündnis stehe nach der Abstimmung auf Außenministerebene nichts mehr im Wege. Der syrische Präsident Baschar al-Assad werde am nächsten Gipfeltreffen teilnehmen.

In einer Erklärung des Außenministeriums in Damaskus hieß es, die »positiven Entwicklungen und Begegnungen in der arabischen Region« nutzten allen arabischen Ländern und stärkten »Stabilität, Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung«. Dialog und Kooperation seien wichtig, um den Herausforderungen zu begegnen. Syrien als Gründungsmitglied der Arabischen Liga habe sich immer für eine starke arabische Kooperation eingesetzt. Die nächsten Schritte erforderten eine »effektive und konstruktive« Herangehensweise in den bilateralen und gemeinsamen Beziehungen. Voraussetzung dafür sei gegenseitiger Respekt.

Hochrangige politische Berater in Damaskus zeigten sich optimistisch. Saudi-Arabien, Abu Dhabi (VAE), Algerien und der Irak hätten sich »entschlossen« gezeigt, Syrien wieder in die Arabische Liga aufzunehmen. Selbst Marokko, das zunächst gegen die Wiederaufnahme war, habe seine Position geändert. Kuwait und Katar, die eine Normalisierung der Beziehungen mit Syrien weiter ablehnen, seien »durch die Präsenz der USA« in ihren Ländern beeinflußt. Beide Golfemirate haben große USA-Militärbasen auf ihren Territorien, die ihnen politische Entscheidungen erschweren, die nicht dem den Willen Washingtons entsprechen.

»Schritt für Schritt«

Die Erklärung der Außenminister der Arabischen Liga sieht vor, daß das arabische Bündnis eine führende Rolle bei der Lösung der humanitären, politischen und sicherheitspolitischen Folgen der Krise in Syrien übernehmen soll. Grundlage dafür seien Vereinbarungen mit Syrien, die bei Gesprächen in Jeddah am 14. April und Amman am 1. Mai von den Außenministern Jordaniens, Saudi-Arabiens, Ägyptens, des Irak und Syriens getroffen wurden. Ausdrücklich genannt werden »Terrorismus, Drogenschmuggel und die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge aus den Nachbarländern«.

Ein gemeinsames Komitee auf Ministerebene von Jordanien, Saudi-Arabien, Irak, Libanon, Ägypten und dem Generalsekretär der Arabischen Liga soll im direkten Gespräch mit der syrischen Regierung die Umsetzung der Vereinbarungen übernehmen. Die Umsetzung solle »Schritt für Schritt« und in Übereinstimmung mit der UNO-Sicherheitsratsresolution 2254 vom Dezember 2015 erfolgen. Das Gremium werde regelmäßig der Arabischen Liga berichten.

Wirtschaftskrieg gegen Syrien geht weiter

Die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga wurde von Gesprächspartnern in Damaskus als »wichtige politische Entwicklung« bezeichnet. Allerdings sei die Wiederherstellung bilateraler Beziehungen Syriens mit den arabischen Staaten »wichtiger«, so eine der Personen, die nicht genannt werden möchten, weil die Gespräche inoffiziell geführt wurden. Scharf wurde die Haltung der USA-Administration und der Europäischen Union kritisiert, die mit den einseitig verhängten wirtschaftlichen Sanktionen einen Wirtschaftskrieg gegen Syrien führen. Das sei »schlimmer als ein militärisch geführter Krieg«, weil sie den notwendigen Wiederaufbau des Landes blockierten und dazu führten, daß die Menschen in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen seien. Die Syrer wollten »nicht von Lebensmittelpaketen leben. Wir essen was wir produzieren und wir tragen Kleidung, die wir selber herstellen.«

Syrer aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten zeigten sich vorsichtig optimistisch über die Entwicklung. Man müsse abwarten, was wirklich von den arabischen Staaten an Hilfe komme, sagte der syrische Geschäftsmann Elia S. Unklar sei auch noch, was von der Regierung im Gegenzug gefordert werde. »Soll Syrien die von Israel besetzten Golanhöhen abgeben, wie seit langem gefordert? Soll Syrien Idlib aufgeben, um diejenigen zufriedenzustellen, die die bewaffneten Kräfte dort unterstützen?« Und wie solle eine Vereinbarung mit den Kurden aussehen, solange sich im Nordosten noch USA-Truppen aufhalten? Sollte die Regierung sich tatsächlich auf territoriale Zusagen einlassen, werde sie jede Glaubwürdigkeit verlieren, meinte Louiza H. eine Anwältin, im Gespräch mit der Autorin.

Die Verbündeten Syriens, Rußland und der Iran, begrüßten die Entscheidung der Arabischen Liga. Neben China, Pakistan, Indien gratulierten auch Kuba und Venezuela.

Die USA-Administration dagegen meinte erklären zu müssen, Syrien habe die Wiederaufnahme in die Arabische Liga »nicht verdient«. Washington werde die »Beziehungen mit dem Assad-Regime nicht normalisieren«, sagte der Sprecher des USA-Außenministeriums Vedant Patel am Montag. Man unterstütze es auch nicht, wenn »unsere Verbündeten und Partner das tun«.

Die 27 Mitgliedstaaten der EU werden im Laufe der Woche die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga und mögliche Folgen für die EU-Außenpolitik kommentieren. Peter Stano, Sprecher von EU-Außenkommissar Josep Borrell, sagte vor Journalisten, Borrell werde »mit Partnern in der Region« sprechen, um »die Gründe und die Erwartungen hinsichtlich der Entscheidung« zu erfahren. Ohne eine Bewegung in Richtung politischer Lösung werde die EU ihre Beziehungen »mit dem Assad-Regime« nicht normalisieren. Die »Verfolgung und Unterdrückung des syrischen Volkes« müsse aufhören, wiederholte er stereotype Positionen.

Ähnlich äußerte sich eine Quelle im Außenministerium in Berlin gegenüber dem Propagandasender »Deutsche Welle«. Die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga müsse an »substantielle Zugeständnisses« gebunden werden. Täglich gebe es »schwere Menschenrechtsverletzungen«, Hilfe beim Wiederaufbau, die Aufhebung der EU-Sanktionen sei ausgeschlossen.

Israel eskaliert

Israel, das angeblich versucht, seine Beziehungen zu den arabischen Staaten zu »normalisieren«, reagierte auf seine Weise auf deren Annäherung an Syrien, die sich auch auf die schwierige Lage der Palästinenser positiv auswirken könnte. Am frühen Dienstagmorgen nahm die israelische Armee die »gezielten Tötungen« palästinensischer Führungspersonen wieder auf. Bei Angriffen auf Wohnungen in Gaza wurden drei hochrangige Vertreter des Islamischen Dschihad in ihren Wohnungen durch Raketenbeschuß ermordet. Mit ihnen starben ihre Frauen und Kinder. Die Zahl der Toten wurde am Mittwoch mit 15 Personen angegeben, 20 Personen wurden bei dem Angriff verletzt. Die drei Männer sollten am Dienstagmorgen Angriffs mit Delegationen nach Kairo und in andere Länder reisen, um offizielle Gespräche zu führen. Die Männer waren bei ihren Familien, um sich von ihnen vor der Reise zu verabschieden.

Israel hatte für den Angriff vorübergehend den Flughafen Ben Gurion gesperrt und eine Sicherheitszone von 40 Kilometern um den Gaza-Streifen verhängt. Siedler wurden aufgefordert, das Gebiet zu verlassen oder in Bunker zu gehen. Reservisten wurden mobilisiert.

Der Angriff auf die palästinensischen Kämpfer war mit den USA abgesprochen. Am Montag war eine USA-Delegation um Jack Sullivan, Sicherheitsberater des USA-Präsidenten, in Israel eingetroffen. Mit ihm reisten Amos Hochstein und Brett McGurk, Berater für Energiesicherheit bzw. für den Mittleren Osten. Die Delegation war zuvor in Saudi-Arabien gewesen. Dort war es auch zu einer Begegnung mit Sicherheitsoffizieren aus Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten gekommen. Ziel des Besuchs ist nach Einschätzungen von Analysten, unter Führung der USA einen Block zwischen Südasien und den Arabischen Golfstaaten zu schmieden. Damit soll die Verbindung zwischen der Region und China und vor allem der Annäherungspolitik von Saudi-Arabien und dem Iran durchkreuzt werden.