Italiens Gewerkschaft CGIL am Scheideweg
Beendet der Aufruf zum Generalstreik »Flitterwochen« mit Draghi?
Die Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL), mit über 5,6 Millionen Mitgliedern stärkste der drei großen Gewerkschaften Italiens, hat für den 16. Dezember zu einem 8-stündigen Generalstreik aufgerufen, um gegen den vorgelegten Haushalt für 2022 zu protestieren, der »unbefriedigend« sei und nicht genügend Mittel für die arbeitenden Menschen vorsehe. »Mit dem Ausstand wird der Waffenstillstand mit der Regierung beendet und beschlossen, sich Gehör zu verschaffen«, meint das linke »Manifesto«.
Das bleibt abzuwarten, denn nach einem Bericht der Nachrichtenagentur ANSA vom Donnerstag werden seitens der beiden Gewerkschaften neue Treffen mit der Regierung »nicht ausgeschlossen«, der Dialog »nicht unterbrochen«. Draghi arbeite daran, eine Lösung zu finden, die es ermöglicht, das Haushaltsgesetz ohne weitere Erschütterungen anzunehmen. Aber eine Lösung sei »äußerst schwierig, da die Auswirkungen über die Landesgrenzen hinausgehen«, was auf den Druck der EU, Sparmaßnahmen durchzusetzen, zielt.
CGIL-Generalsekretär Maurizio Landini seinerseits habe »die Bemühungen und das Engagement von Premier Draghi gewürdigt« und nur betont, daß die Maßnahmen in Bezug auf Steuern, Renten, Schulen, Industriepolitik, eine effektivere Umverteilung des Reichtums, den Abbau von Ungleichheiten und die Schaffung einer ausgewogenen, strukturellen und stabilen Entwicklung nicht den Anforderungen genügten.
Dem Aufruf zum Generalstreik hat sich die Unione Italiana del Lavoro (UIL, 2,2 Millionen Mitglieder) angeschlossen, wie ihr Generalsekretär Pierpaolo Bombardieri mitteilte, während Luigi Sbarra, der Generalsekretär der Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori (CISL, 4,5 Millionen Mitglieder), erklärte, es sei »falsch, zum Generalstreik zu greifen und den Konflikt zu radikalisieren, in dem wir Dialog, Zusammenhalt, Verantwortung und gesellschaftliche Teilhabe« brauchen.
An dieser Stelle sei daran erinnert, daß die Abspaltung der CISL im Jahr 1948 und der UIL 1950 von der damaligen Einheitsgewerkschaft CGIL ein Werk der Agenten der CIA in der US-amerikanischen AFL-CIO war, die damit der Dominanz der Kommunisten und Sozialisten in der CGIL ein Ende bereiten wollten.
Was »Dialog« und »gesellschaftliche Teilhabe« hervorbringen, hat das Sozialinstitut Censis in der vergangenen Woche in einem dramatischen Bericht verdeutlicht, der Italien als »verarmt, schlecht ausgebildet, demografisch rückschrittlich« einschätzt. Mit 6,5 Millionen Menschen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren hat ein Drittel der Beschäftigten höchstens einen Mittelschulabschluß. Unter den Arbeitslosen gebe es eine erhebliche Zahl von Hochschulabsolventen. Die Mehrheit (56,4 Prozent) der Italiener glaube nicht, daß sich ihre wirtschaftliche Lage nach der Pandemie verbessere, 28,4 Prozent erwarteten, daß es noch schlimmer wird. Zwischen 2015 und 2020 sind die Geburten um 16,8 Prozent. zurückgegangen. Nach einer Umfrage haben 11,1 Prozent der Familien ihren Kinderwunsch aufgegeben.
So ganz von selbst hat sich die CGIL nicht zum Generalstreik entschlossen. Zur Teilnahme am »No Draghi Day«, den Protestdemonstrationen von Zehntausenden der Basis-Gewerkschaften in 23 Städten am vergangenen Samstag, hatte sie nicht aufgerufen. Im Gegensatz zur CGIL hatten diese den Regierungschef und früheren EZB-Präsidenten als Handlanger der EU-Kommission bei der Durchsetzung rigoroser Sparmaßnahmen an den Pranger gestellt und sein Haushaltsgesetz als beispiellosen »Angriff auf die Lebensbedingungen der schwächsten sozialen Sektoren des Landes« beim Namen genannt, das gleichzeitig den großen Unternehmen weitere Gelder zuschießt.
CGIL-Generalsekretär Maurizion Landini »übernimmt den Staffelstab«, um den Basis-Gewerkschaften nicht das Feld zu überlassen. Denn diese handeln inzwischen als Einheitsgewerkschaft aller Basis-Organisationen und gewinnen zunehmend an Einfluß, wie der Erfolg des von ihnen organisierten Generalstreiks am 11. Oktober zeigte, vermerkt das kommunistische Onlineportal »Contropiano«. Daß das Gesundheitswesen vom Streik ausgenommen wird, sei verständlich. Nicht aber der öffentliche Verkehr, der »das Land stoppen« könnte. Auch hier gehe man »zaghaft und widersprüchlich« vor, so »Contropiano«, das den Ausstand »einen verstümmelten Streik« nennt und auch befürchtet, daß die Ausrufung keine »andere Haltung« gegenüber der Regierung, des »pro-europäischen Draghismus« ist.
Als Streikbrecher agieren die rechten Kreise des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) mit ihrem Vorsitzenden Enrico Letta an der Spitze. Sekretariatschef Enrico Borghi teilte mit, der Streik sei »eine objektiv überzogene Entscheidung, die Gründe dafür schwer nachvollziehbar«. Senator Stefano Collina vom PD erklärte, die CISL »tat gut daran, sich dem Streik nicht anzuschließen«.